- Ausstellung MATERIA 2018
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Reiner Mährlein bevorzugt Eisen, Stein und Papier. Mit diesen so gegensätzlichen Materialien experimentiert der 1959 in Kaiserslautern geborene Bildhauer seit rund drei Jahrzehnten. Mährlein, der sein Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris absolvierte, findet im Rückgriff auf elementare Formen prägnante Durchdringungen ihrer jeweiligen Stofflichkeit und ebenso sinnliche wie kontrastreiche Dialoge von Gravitation und Leichtigkeit, von Volumen, Fläche und Raum.
Wechselwirkungen
Eisen trifft auf Büttenpapier, Stahl trifft auf Granit und Letzterer wiederum auf Meerschaumpulver oder Alabaster, die sich mit Acryl und Wachs verbinden, mit Japanpapier und Leinwand.
Es sind besondere Stoffformationen – und ihre Reaktionen auf- und untereinander –, mit denen Carola Czempik und Reiner Mährlein das Verhältnis und die Bedingungen von Materie, Form und Inhalt erforschen.
Was die beiden Künstler verbindet, auch wenn oder gerade weil sie sich der Stofflichkeit in ganz gegensätzlichen Gattungen widmen, sind die vier Elemente.
In der Philosophie der Urstoffe unterscheidet Aristoteles zwischen der „Materia prima“ und der „Materia secunda“. Erstere ist nicht dinglich, sondern als metaphysisches Prinzip die Grundlage der vier Elemente, aus denen sich alles Stoffliche, alle Substanzen entfalten. Während die „Materia secunda“ bereits geformte Materie ist, also die einzelnen Dinge an sich, die sowohl aus Materie als auch aus Form bestehen.
Es geht also nicht nur um Material im Sinne des Werkstoffs, sondern im Hinblick auf die Substanz um die metaphysische Beschaffenheit und Wandelbarkeit von Materie. Es geht mithin um uralte, substanzielle Fragen.
In einer Zeit, in der sich die Dinge ins Stofflos-Virtuelle verlagern – digitale Hardware immer winziger und unser Handeln und Denken zunehmend von unsichtbaren Algorithmen gelenkt wird –, ist der Rückgriff auf die Vergangenheit durch den künstlerischen Blick der Gegenwart eine wichtige Möglichkeit, die Imaginationsräume der Zukunft anders zu sehen und vielleicht auch zu gestalten.
„Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit“, heißt es bei Ludwig Wittgenstein.
„Den Gegenständen entsprechen im Bild die Elemente des Bildes.
Das Bild ist eine Tatsache.“
Die Elemente des Bildes und ebenso der Plastik implizieren in der Kunst immer auch das Ausloten der formalen Möglichkeiten und Grenzen: der Malerei, und also der Fläche bei Carola Czempik, und der raumplastischen Aspekte bei Reiner Mährlein.
Reiner Mährlein und Frankreich
Werktitel wie Cintré à l’Âme, Ras le bol oder Passé verweisen auf Reiner Mährleins Beziehung zu Frankreich. Nach dem Studium bei Wilhelm Uhlig, an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, ging er in den 1980er-Jahren zu Jean Cardot nach Paris, an die École nationale supérieure des beaux-arts. Beide Professoren stehen in der Tradition des Realismus, Cardot mit bisweilen abstrahierenden Tendenzen.
Anfänglich trugen auch Reiner Mährleins Skulpturen figürliche Züge. Denn, so der Künstler: „Das Festhalten an der Form gibt einem Sicherheit“. Mit der Zeit jedoch gelangte er über die Kombination von Stein und Stahl einerseits und das Experimentieren mit verschiedenen Techniken andererseits zu immer abstrakteren Formen.
Dabei waren die 1980er-Jahre gerade in der Bildhauerei von der Rückbesinnung auf die Figuration geprägt. Zum vorherrschenden Minimalismus und zur Konzeptkunst entstand eine Gegenbewegung.
Der Maler Georg Baselitz ging mit seinen expressiven Wesen in die dritte Dimension. Mährleins Zeitgenossen wie zum Beispiel Stephan Balkenhol oder Katharina Fritsch gaben der figürlichen Skulptur und Plastik Neue Impulse.
Materie und Durchdringung
Davon unbeeindruckt beschritt Reiner Mährlein andere Wege. Geometrische Körper im Raum faszinierten ihn, Künstler wie Eduardo Chillida oder Richard Serra haben ihn beeindruckt. Und anders als die Vertreter der konkreten Kunst oder der Minimal Art beschränkt sich Mährlein nicht allein auf formale Aspekte, sondern bringt – durch seine Formungen und durch das Gegen- und Miteinander kontrastierender Materie – eine sinnliche Ebene in die Abstraktion.
Im Hinblick auf die Stoffe, aus denen seine zwischen Skulptur und Plastik changierenden Werke sind, ist er der bildhauerischen Tradition allerdings treu geblieben. Arbeitet bevorzugt mit Eisen und mit Granit – dem, laut Goethe, „Urgrund der Welt“.
Was also hat einen jungen Künstler dazu bewegt, gerade in dieser Zeit seine Werke abseits des Mainstreams zu entwickeln? Ein Grund hierfür mag in Reiner Mährleins Werdegang liegen. Denn vor dem Kunststudium hat er eine Steinmetzlehre absolviert. Später fand er im Pariser Atelier eine alte Esse. In der Klasse von Jean Cardot ging es eigentlich um pure Stein- und Holzbildhauerei. Der gelernte Steinmetz allerdings schmiedete sein Werkzeug mit der Esse und fand so zum Eisenguss. Parallel schuf Mährlein seine ersten Stein- und Stahlverbindungen.
Aktuelle Beispiele dafür sind Passé und En Cube, in denen sich der roh behauene Granit in die gebogenen Stahlformen einfügt. Was Reiner Mährlein bis heute an diesem Kontrast fasziniert, ist die Wirkung des Granits, der, wie er sagt: „seine Masse auch im eingebauten Zustand behauptet.“
Papier und Skulptur
Ein weiteres zentrales Element ist das Papier. Was in der Bildhauerei höchst ungewöhnlich ist. Wir kennen es als Trägerstoff von Bildhauerzeichnungen und Skizzen. Aber als eigenständiger Bestandteil einer Skulptur? ‚Echte’ Bildhauer geben sich mit so einem labilen Material in der Regel nicht ab.
Anders Reiner Mährlein. Und hier kommt einmal mehr das Studium in Frankreich ins Spiel. Eine Biegemaschine zur Rundung von Blechen ist im Französischen „la cintreuse“. Reiner Mährlein benutzt eine solche Cintreuse wie eine Radierpresse, wodurch die Wirkung des Papiers alles andere als weich oder labil erscheint.
Für seine Prägungen benutzt er Granitformen oder Eisenplatten und verleiht dem Papier so eine bildhauerische Qualität. So scheinen kompakte, schwere Formen in seinen Rostmonotypien zu schweben. Gesteigert wird diese bildhauerische Qualität des Papiers in Arbeiten wie Cube oder Cintré à l’Âme – was man frei mit ‚gebogene Seele’ übersetzen kann. Kommt also doch wieder der Aspekt des Weichen und Fließenden hinzu. Doch in der Fachsprache des Handwerks bezeichnet die Seele zugleich den inneren Kern eines Kabels. Während in Cube das leichte Papier sich machtvoll gegen das schwere Eisen behauptet, verleiht es der gebogenen Seele in Cintré à l’Âme gar ihr stabiles Rückgrat.
Granit fließend
In den letzten drei Jahren hat Reiner Mährlein neue, andere Werk- und Materialprozesse entwickelt. Die Formen dieser Skulpturen lassen schmunzeln und schon die Titel stimmen einen witzig-ironischen Ton an. „Plus que plein“ und „Plus que vide“ – ob das Glas halb voll ist oder halb leer, liegt letztlich im Auge des Betrachters. Geradezu der Überdruss formiert sich in „Ras le bol“ und „Plus que ras le bol“. Was soviel wie „Mir reicht’s!“ bedeutet. Dem Granit, dieser Grundfeste der Bildhauerei, scheint seine Rolle nicht mehr zu behagen.
1784 schrieb Goethe: „Jeder Weg in unbekannte Gebirge bestätigte die alte Erfahrung, dass das Höchste und das Tiefste Granit sei, dass diese Steinart, die man nun näher kennen und von andern unterscheiden lernte, die Grundfeste unserer Erde sei, worauf sich alle übrigen mannigfaltigen Gebirge hinaufgebildet.“
Wissenschaftlich wurde der Geheimrat mittlerweile widerlegt. Gehört doch der Granit zu den magmatischen Gesteinen – ist also von seinem Wesen her flüssig. In seinen neuen Skulpturen verweist Reiner Mährlein auf den magmatischen Ursprung des Steins, über den der Bildhauer sagt: „Er quillt aus dem Sockel hervor, wie im grimmschen Märchen der süße Brei.“
Biographie:
1959 | geboren in Kaiserslautern |
1982-1985 | Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, bei Professor Wilhelm Uhlig |
1986-1989 | École nationale supérieure des beaux-arts de Paris, bei Professor Jean Cardot |
Reiner Mährlein lebt und arbeitet in Rothselberg und Kaiserslautern |
Einzelausstellungen (Auswahl)
2018 | Galerie Mönch Berlin Materia (mit Carola Czempik) |
2017 | Wassergalerie, Berlin Lichtwechsel (mit Evelyn Garden und Karin Bandelin) |
2016 | Galerie Mainzer Kunst Galerie m50, Oberursel Kunstverein Dahn (mit Veronika Olma und Katja Wunderling) |
2015 | Galerie Mönch Berlin (mit Benno Noll) |
2014 | Zeughaus, Kunstverein Germersheim if ART Gallery, Columbia SC, USA |
2012 | Zehnthaus, Jockgrim |
2011 | Galerie m50, Frankfurt am Main Bis jetzt, Wollmagazin, Kaiserslautern |
2008 | if ART Gallery, Columbia SC, USA Galerie Mönch Berlin |
2007 | Galerie im Unterhammer, Karlstal bei Kaiserslautern |
2006 | Kunst in der Kantine, FA. Eckelmann, Wiesbaden |
2005 | Galerie in der TU, Kaiserslautern |
2004 | Deutsche Werkstätten Hellerau, Dresden Galerie Mönch Berlin |
2003 | Pfalzbibliothek, Kaiserslautern Lewis & Clark Gallery, Columbia S.C., USA |
2000 | Landtag Rheinland-Pfalz, Mainz Landesgartenschau, Kaiserslautern |
1998 | Galerie Schmitt – Zulauf, Freinsheim |
1997 | Kahnweilerhaus, Rockenhausen |
1996 | Pfalztheater Kaiserslautern |
1995 | Galerie de Lorenzi, Luxemburg |
1994 | Kunstverein Neustadt/Weinstraße |
1992 | Galerie Schmitt – Zulauf, Freinsheim |
1991 | Kulturzentrum Kammgarn, Kaiserslautern |
1989 | Galerie Waldherr, Kirchheimbolanden |
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2017 | Galerie Mönch Berlin Im Bild bleibt die Zeit stehen – 40 Jahre Galerie Mönch, Part II |
2015 | Im Quadrat, 15 Jahre KWG Kaiserslautern, Volksbank Kaiserslautern |
2014 | ROT, Galerie m50, Frankfurt |
2013 | Pfalzstahl, Galerie Ritter, Neustadt/Weinstraße |
2012 | weiß und schwarz, Galerie m50, Frankfurt Material Papier, Galerie Mönch Berlin |
2011 | Albert- Haueisen – Preis, Jockgrim |
2010 | Große Kunstausstellung, Kunsthaus Nürnberg |
2009 | Ars Palatina, Château de Vianden, Luxemburg |
2008 | Interferenzen, Ars Palatina, Tufa Trier Schöpfungszeiten, Stadtmuseum Villa Böhm, Neustadt/Weinstraße |
2007 | if ART Gallery, Columbia SC, USA |
2006 | Positionen zeitgenössischer Plastik, Kulturhof, Speyer |
2003 | Garage Art Project, South Carolina State Museum, Columbia SC, USA |
2000 | Streiflichter 125 Jahre Pfalzgalerie |
1997 | Start 97, Messe für Zeitgenössische Kunst, Strassbourg |
1995 | Pfalzpreisausstellung für Grafik und Plastik, Pfalzgalerie Kaiserslautern |
1994 | Kahnweiler-Preis-Ausstellung, Rockenhausen |
1993 | Kunstmesse Rheinland-Pfalz, Pirmasens/Mainz |
1990 | Jahresausstellungen der APK, Kunst und Künstler in Rheinland–Pfalz Hans-Purrmann-Preis, Speyer Salon Internationale de la Sculpture Contemporaine |
1989 | Jeune Sulpture, Montbéliard |
1988 | Palazzo Colonna, Marino |
1986 | Académie des Beaux Arts, Paris Salon des Artistes Français, Grand Palais Paris |
Internationale Bildhauersymposien und Projekte
2016 | ihochx, Kunstsymposion der KWG mit Künstlern aus Columbia S.C. USA, Uni-Campus Kaiserslautern |
2014 | Weg mit Kunst, Internationales Kunstsymposion, Kaiserslautern |
2013 | Plakat Wand Kunst, Kunstprojekt im öffentlichen Raum, Uni-Campus Kaiserslautern Myzel, Kunstaktion der KWG, Kaiserslautern |
2011 | Romantik Internationales Kunstsymposion der KWG, Kaiserslautern |
2010 | Internationales Kunstsymposion, Banja Luka, Bosnien und Herzegowina |
2008 | |
2007 | Internationales Kunstsymposion, Banja Luka, Bosnien und Herzegowina |
2006 | Internationales Kunstsymposion, Banja Luka, Bosnien und Herzegowina Internationales Bildhauersymposion, Kaiserslautern |
2005 | Buch Objekt Internationales Kunstsymposion, Kaiserslautern |
2004 | Little Size/Kleinformat Kunstaktion der KWG mit Künstlern aus Columbia S.C. USA |
2002 | Pfälzer Kunstdialog, Pfalzgalerie, Kaiserslautern With – Without Distance Kunstaktion der KWG mit Künstlern aus Columbia S.C. |
2001 | City Garage Project, Columbia S.C. USA Heimat Kunstaktion der KWG, Museum im Westrich, Ramstein |
2000 | Internationales Bildhauersymposion in Kaiserslautern |
1997 | Internationales Bildhauersymposion in Germersheim |
1996 | Internationales Bildhauersymposion in Banska Stiavnica, Slowakische Republik |
1995 | Prometheus – Epimetheus Kunstaktion mit bildenden und darstellenden Künstlern, Kaiserslautern |
1989 | Internationales Bildhauersymposion in Digne-Les-Bains, Frankreich |
1988 | Internationales Bildhauersymposion, Marino, Italien |