Ausstellung: Fünf Künstlerinnen – fünf Standpunkte 2022 | Valeska Zabel | aus der Serie „Irish Country Cottages“
Zinnoberrot und Magenta erheben sich gleich einem Trommelwirbel auf weißem Papier. In ihrer Überlagerung entsteht ein gedämpfter, warmer Krapplackton, mit dem sich der Farbstrudel aufschwingt zu einem gefächerten Drachen. Vielleicht zu einem Luftgeist wie ihn William Shakespeare in „Der Sturm“ mit Ariel kreiert hat. Der sagt keck: „Ich trink‘ im Flug die Luft und bin zurück, / Eh‘ zweimal Euer Puls schlägt.“ Eine Geschwindigkeit, mit der Shakespeare den Takt unseres heutigen Lebens vorweggenommen zu haben scheint, und in der Figur Ariels all ihre Freiheiten und all ihre Abhängigkeiten gebündelt hat.
Angesichts digitaler Errungenschaften und Vervielfältigungsmöglichkeiten, angesichts der virtuellen und permanenten Bilderflut erscheint die Druckgrafik mit ihrer rund sechs Jahrhunderte währenden Tradition ein wenig anachronistisch. „Man nehme beispielsweise das Handwerk des Radierers. Der aufwendige Arbeitsvorgang des Zeichnens und des Einritzens einer Darstellung auf eine präparierte Kupferplatte hat etwas von einer Mönchsarbeit, die heutigen Betrachtern nicht mehr zeitgemäß erscheinen mag“, schreibt der Spezialist für Druckgrafik Alter Meister, Nicolaas Teeuwisse. „Das Gleiche könnte man mit gutem Recht von der Beschäftigung mit Druckgraphik behaupten. Man braucht die Abgeschiedenheit eines ruhigen Zimmers, inneren Gleichklang, Stille, Bücher – und ein scharfes Auge, um jede Kurve und Pirouette des Netzwerkes der Linien zu verfolgen, ihre innere Alchemie zu erforschen.“
Diese innere Alchemie lässt sich nicht zuletzt in den Kaltnadelradierungen von Valeska Zabel erforschen, in denen sich ihre geradezu altmeisterliche, handwerkliche Fähigkeit mit einem sehr zeitgenössischen Ausdruck verbindet. Wie in dem Blatt mit den dichten, beschwingten Linien, die an die pulsierenden Strukturen von Oszillogrammen erinnern, während im Hintergrund der weiche Plattenton des Vernis mou, stilisierte Arabesken entstehen lässt. Oder in den beiden ebenfalls 1999 entstandenen Blättern, deren freie Lineaturen sich zu einer Art Landschaft formieren. Mit einem Steg aus waagerechten Linien, der Paul Klees Gemälde „Hauptweg und Nebenwege“ assoziieren lässt. Hauptlinien und Nebenlinien. Für Valeska Zabel war die Druckgrafik nie unzeitgemäß. Ganz gleich, ob die Künstlerin sich auf den Nebenwegen der Zeichnung widmete, der abstrakten Malerei, den faszinierend locker aquarellierten Farblandschaften oder den späten Ölbildern mit den Landschaftsveduten Irlands, dass sie unzählige Male bereist hat, wo sie Mitte der 90er-Jahre mit Stipendien des Arts Council of Northern Ireland sowie des Tyrone Guthrie Centres mehrere Jahre gelebt und gearbeitet hat.
Die Druckgrafik – insbesondere die Radierung in all ihren Facetten –, stand für Valeska immer im Zentrum. Als künstlerisches Ausdrucksmittel, aber auch als Auftrag, im doppelten Sinne: zum einen in ihrer eigenen Werkstatt, wo sie Radierungen für Kollegen gedruckt hat, zum anderen als Dozentin und Gastprofessorin an der Gesamthochschule in Kassel, wo sie in den 70er-Jahren Malerei und Grafik an der Hochschule für Bildende Künste studiert hatte. Vor allem aber in der Druckwerkstatt des Berufsverbands Bildender Künstler im Bethanien hat Valeska ihr Wissen und Können rund drei Jahrzehnte als Mitarbeiterin und später als Leiterin der Radierwerkstatt weitervermittelt.
Auch in Zeiten wie den 90er-Jahren, in denen es ruhig um die traditionellen Drucktechniken wurde. Als die jüngere Künstlergeneration die Radiernadel gegen die Computer-Maus und den Litho-Stein gegen den Monitor austauschte, hat Valeska mit Leidenschaft und ja, geradezu mit einer gewissen Sturheit gestochen und gekratzt, geätzt, geritzt und gezeichnet. Sie selbst hat einmal gesagt: „Was mich an der Druckgrafik und speziell an der Radierung ganz besonders begeistert, ist die Tatsache, dass das, was man auf der Platte sieht, exakt das ist, was auf dem Papier herauskommt.“
All jenen also, die ihren Augen und Sinnen die bereits erwähnte Kontemplation, aber eben auch Schärfung angedeihen lassen möchten, bietet diese Ausstellung „Aus dem druckgrafischen Werk“ vielschichtige Möglichkeiten. Und sie gibt einen Einblick in Valeska Zabels breit gefächertes Können und ihre Experimentierfreude. Obschon wir uns auf den Flachdruck und den Tiefdruck beschränkt haben. Ihre Monotypien, denen sie sich während verschiedener Studienreisen nach London widmete, sind ein weiteres, ein zukünftiges Kapitel. Zur Sinnlichkeit und Tiefe, zur Ruhe und Gespanntheit gehört in Valeska Zabels Werk immer auch eine gewisse Heiterkeit. Etwas Fröhliches und Leichtes in der Farbigkeit wie auch in den Motiven. Gleich ob sie sich der Figuration annähern, aus akribischer Landschafts- und Naturbeobachtung entstanden sind oder aber abstrakt. Besonders bei den Abstraktionen – bei den Siebdrucken von 1988 ebenso wie bei den Lithografien und Radierungen –, treffen wir auf einen musikalischen Grundrhythmus, der diese Leichtigkeit unterstreicht und jene Quirligkeit, die auch Valeskas Persönlichkeit ausgemacht hat.
Musikalität hat sie nicht nur in ihren grafischen Zyklen zu Leonhard Cohen oder Charles Mingus bewiesen, sondern auch wenn dynamische Gelb- und Rottöne expressive, sehr zügige Flächen und Flecken bilden, die durch die schwarzen Dreieck- und Rechteckkonturen gesteigert und zugleich gebändigt werden. Wenn geometrische Formen sich ähnlich einer zeitgenössischen Partitur entfalten, die roten Rechtecke einen rhythmischen Gleichklang anstimmen, der von lasierten, sich wiegenden Säulen unterlegt und von skripturalen Notaten der schwarzen Linien umspielt wird.
„Zinnoberrot“, schrieb Wassily Kandinsky in Über das Geistige in der Kunst: „klingt wie die Tuba und kann in Parallele gezogen werden mit starken Trommelschlägen.“ Während er dem Gelb einen „etwas wahnsinnigen Charakter“ beimisst. Das Schwarz, so Kandinsky: „ist musikalisch dargestellt wie eine vollständig abschließende Pause […] Das ist äußerlich die klangloseste Farbe, auf welcher deswegen jede andere Farbe, auch die am schwächsten klingende, stärker und präziser klingt.“
In der Aquatinta mit den ausgesprengten Partien, die eine faszinierende – so, wohl nur in der Radierung mögliche –, Plastizität erfahren, steigert das Schwarz nicht nur die blassfahlen Umbratöne, sondern gewinnt ein Eigenleben. Auf den gebunden farbigen Strukturen schwebend, betont es die Dynamik, die nicht zuletzt auch durch die Pause entsteht.
In völligem Kontrast zu Valeskas quirligen und vibrierenden Abstraktionen, steht in den Radierungen der späten Jahre die Erforschung der Landschaft. Die Vedute, der Ausblick ist kontemplativ, stilistisch fast ein wenig unzeitgemäß. Dafür in der Farbgebung und auch in der Linienführung von zarter, tiefer Ausdruckskraft. Von stiller Schönheit. Während die gestischen Lithografien der 90er-Jahre die Macht der Natur in kraftvollen Landschafts-Metaphern zu beschwören scheinen. Schroffe Wolkengebilde, in deren kreideartigen Strukturen die Sonne abtaucht. Oder ein Luft durchströmter Weg, von dem wir nicht wissen, ob er noch im Diesseits, in den erdigen Tönen verwurzelt ist oder schon jenseits der Wolken angesiedelt. Vielleicht aber ist es auch Ariel, der im Flug die Luft trinkt. Die wird in einer weiteren Radierung zum karstigen Luftstrom, der das Blatt geradezu reliefartig und etwas unheimlich überzieht.
Valeska Zabels Abstraktionen sind hintergründig. Plaudern die Dinge nicht aus, sondern lassen uns, den Betrachtern, stets Raum für eigene Phantasien, für die eigenen Deutungen und Empfindungen. Und doch sind sie nicht aus der rein geistigen Sublimation entstanden. 1999, dem Jahr, in dem die eingangs erwähnten Kaltnadelradierungen entstanden sind, hat Valeska an ihrem Langzeit-Projekt „52 Linien“ gearbeitet. Ebenfalls in der Kaltnadeltechnik. Eine „seismografische Aufnahme von Gegenwart und Erinnerung“, so die Künstlerin, in der eine leere Platte für den ersten Sonntag des neuen Jahrtausends bei jedem Druck mitlief. Über 52 Wochen wird Zeit sichtbar, vergeht und bleibt doch festgehalten. Parallel zu den 52 Linien, die Valeska sukzessive an jedem Sonntag geritzt hat, hat sie ein Tagebuch geführt. Dort finden sich neben jedem Eintrag fein säuberlich eingeklebte Zeitungsausschnitte, darauf der Schadstoffindex des jeweiligen Vortags. Auch das war Valeska: Zwischen abstrakten Linien konnte sie den Alltag vibrieren lassen. Vielleicht schwingt sie ja nun selbst durch ihre Wolkengebirge. Nicht so schnell wie Ariel, und sicher nicht Luft trinkend, sondern englischen Tee.
Biographie
1951 | geboren in Offenbach/Main |
1971-77 | Studium der Malerei und Grafik, Hochschule für Bildende Künste, Kassel |
1980 | Farbe im Stadtbild, Wettbewerb des Senats von Berlin, 1. Preis und Realisierung des Wandbilds in Berlin Spandau |
seit 1980 | Mitarbeiterin in der Druckwerkstatt Bethanien |
1985-1987 | Lehrauftrag und Gastprofessur für Lithographie und Radierung, Gesamthochschule Kassel |
1987/88 | Studienreise nach London, Arbeit in der Druckwerkstatt von Allen Cox |
1994/95 | Stipendium Printmaker in Residence, Arts Council of Northern Ireland, Belfast |
1995 | Stipendium Tyrone Guthrie Centre at Annaghmakerrig, Ireland |
seit 1997 | Leiterin der Radierwerkstatt in der Druckwerkstatt des BBK Berlin |
2012 | verstorben in Berlin |
Einzelausstellungen (Auswahl)
2016 | Reste einer Reise, Aquarelle, Galerie Mönch Berlin |
2014 | Aus dem druckgrafischen Werk, Galerie Mönch Berlin |
2013 | Valeska Zabel. In Memoriam. Malerei und Zeichnungen der 80er-/90er-Jahre, Galerie Mönch Berlin |
2012 | Druckwerkstatt des BBK im Bethanien, Berlin |
2011 | Ansichten-Aussichten, Galerie im Ratskeller, Berlin (mit Helmut Müller) |
2010 | Spaziergang mit Mrs. Wallis, Kunstraum Pettneu, Arlberg, Tirol |
2005 | Das Geheimnis der Schafe, Galerie Mönch Berlin |
2002 | Fernen (mit Nino Malfatti), Galerie Mönch Berlin |
1999 | 52 Linien, Galerie Mönch Berlin |
1996 | Back to Berlin, Galerie Mönch Berlin |
1995 | Fenderesky Gallery at Queens, Belfast
Original Print Gallery, Dublin (mit Tighe O’Donoghue) Wandinstallation Green, Old Museum Arts Centre, Belfast |
1993 | Between The Lines, Galerie Mönch Berlin |
1992 | Installation Prints for Mingus, Fragile Gesellschaft, Berlin
Formen und Zeichen, Studio Bildende Kunst, Berlin |
1991 | Atelier Eglau, Kampen/Sylt
Kunsthaus Wiesbaden Kreuz und Kreis, Galerie Mönch Berlin |
1988 | Galerie im Atelier, Neuenrade |
1985 | Galerie Mönch Berlin |
1984 | Galerie im Atelier, Neuenrade
Galerie Mönch Berlin |
1982 | Galerie 33, Berlin |
1981 | Kunsthistorisches Institut der Universität Bonn |
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2006 | 25/25, The Naughton Gallery at Queens, Belfast |
2003 | Fenderesky Gallery, Belfast (mit Nino Malfatti und Terry McAllister) |
2002 | Internationale Trienale für Druckgrafik, Grenchen, Schweiz |
2001 | Galerie im Atelier, Neuenrade |
2000 | Galerie Lindern, Lindern (mit Wendelin Gräbener) |
1999 | Galerie du Soleil, Saignelégier, Schweiz |
1998 | Vision of Music, Original Print Gallery, Dublin |
1992 | II. Allgäuer Symposion Bildender Künstler, Kempten/Allgäu |
1990 | 8 x Grafik, Künstler aus Berlin und Amsterdam, Galerie Langenberg, Amsterdam
Sonsbeek International Arts Centre, Arnheim, Niederlande |
seit 1977 | Galerie Mönch Berlin |